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Meine Rede am Bundestag

Meine Rede im Parlament. Bei der Veranstaltung der Linken Fraktion „Leben wir in einer Klassenjustiz.“

Berlin den 16.11.2022

 


 


 

Sehr geehrte Damen und Herren.

 

Danke, dass ich heute stellvertretend für viele betroffen Menschen zu ihnen sprechen kann.

 


 

Mein Name ist Janita–Marja Juvonen. Ich bin 43 Jahre. Mit 14 Jahren kam ich auf die Straße. Mit 16 Jahren war ich dauerhaft obdachlos. 14 Jahre lang. Erst mit knapp 28 habe ich den Weg zurück geschafft.

 


 


 

Heute mache ich Stadtführungen zum Thema Obdachlosigkeit in meiner Heimatstadt Essen. Zusätzlich kläre ich deutschlandweit an Schulen, Einrichten und in Workshops auf.

 


 


 

Ich saß im Gefängnis wegen Fahren ohne Ticket.

 

Vor Gericht bekam ich vom Richter und auch von der Staatsanwältin gesagt „So kann das mit ihnen ja nicht weitergehen.Sie müssen merken, dass das Konsequenzen hat.

 


 

Darum bekam ich auch, ohne vorherige polizeiliche Auffälligkeiten sofort eine Haftstrafe. Es sollte eine Erziehungsmassnahme sein.

 


 

Da mir der Stellungsbefehl nicht zugestellt werden konnte, weil ich ohne Meldeadresse war, wurde ich per Haftbefehl gesucht.

 

Eines Tages kam die Polizei unter die Brücke, wo ich schlief. Sagte zu mir „ JJ wir haben ein Problem. Du hast nen Roten draußen,“

 

Die Polizisten waren nicht begeistert als sie hörten, warum sie jetzt die ganze zusätzliche Arbeit hatten.

 


 

Haftbefehl. Handschellen. Gefängnis.

 


 


 


 

Heute höre ich oft : “Na dann sollen die Menschen , die sich den ÖPNV nicht leisten können, eben laufen,“.

 


 

Daran erkenne ich, dass viele Menschen die Lebensrealität eines Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße gar nicht nachempfinden und begreifen.

 


 

Meine Schuhe waren nie neu. Sie waren nie von meinen Füßen eingelaufen worden. Es waren Schuhe, die nach langer Nutzung aussortiert und gespendet wurden..

 

Darum litt ich ständig unter Druckstellen bis hin zu blutigen und eitrigen Blasen an den Füßen.

 


 

Die Möglichkeit der medizinischen Hilfe, z. B. vom Arztmobil hatte ich auch nur, wenn ich an den Ort kam, wo die Ärzte waren. Selbst dann konnte ich die Wundem nicht so sauber halten, wie es nötig gewesen wäre.

 

Laufen war oft mit großen Schmerzen verbunden. 

 

Für den ÖPNV hatte ich kein Geld.

 


 


 

Vorurteile gegen Menschen, die ohne Ticket fahren,gibt es viele. Wissen, warum sie es müssen, eher wenig.

 


 


 


 

Ich kam also ins Gefängnis mit Anfang 20. Saß dort 23 Stunden in einer Zelle. Mit 1 Stunde Ausgang am Tag.

 

Was mir geholfen hätte….eine Veränderung meiner Lebenssituationen.

 

Aber passiert ist nichts. Bis heute verstehe ich nicht, was das für eine Erziehungsmassnahme sein sollte.

 


 

Obdachlosigkeit war vorher mein Leben.

 

In dieses Leben wurde ich nachher auch wieder entlassen.

 


 


 

Um in meine Stadt, zu meiner Brücke, zurück zukommen, war ich auf den ÖPNV angewiesen. Geld dafür fehlte mir immer noch.

 

Meine Kollegen hatten mir zum Glück meinen Schlafplatz freigehalten. Selbstverständlich war das nicht.

 


 

Es war also alles beim Alten. Außer, dass der Steuerzahler jeden Tag viel Geld für meinen Gefängnissaufenthalt bezahlt hat.

 


 

Was ich von der Regierung forder……..

 

Abschaffung des Straftatbestandes. Beendigung von Armutsbestrafung.

 

Menschen sind auf Mobilität angewiesen. Ich forder, dass es jedem Menschen möglich ist, sich im ÖPNV fortzubewegen.

 

Das nicht Menschen, die armutsbetroffen sind, von Mobilität ausgeschlossen werden.

 


 

Es kann! Es darf nicht sein, dass Menschen, die von Armut betroffen sind, bestraft werden, dafür, dass sich ein Ticket nicht leisten können!

 


 

Bis heute hat die damalige Situation, der Ticketkontrolle mit der Bloßstellung vor den anderen Fahrgästen Auswirkungen auf mich.

 

Selbst heute, mit Ticket, habe ich große Sorge, als armutbetroffene Person noch einmal in diese Lage zu kommen.

 

Mir weder das Ticket, noch die anschließende Geldstrafe leisten zu können.

 


 

Es geht nicht um nicht wollen.

 

Es geht um nicht können!!

 

Das muss die Regierung und auch viele Menschen in der Bevölkerung begreifen.

 


 

Der Satz „Die Fahrscheine bitte!“ macht mir heute noch Angst.

 

 

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