· 

Wenn man plötzlich in die Vergangenheit zurück katapultiert wird.

Ich habe nicht gerechnet, sie wiederzusehen.
Ich habe aber auch nicht damit gerechnet, ihre Namen unter den Toten zu hören.



Am 21. Juli ist der Gedenktag für Menschen, die an illegalen Drogen und ihren Langzeitfolgen gestorben sind.

Seit 1998 gibt es diesen internationalen Gedenktag.

Dort sind nicht alle Drogentote aufgeführt, auch wenn Deutschland diese Zahlen immer gerne sehr betont, wenn sie weniger sind als im Vorjahr. Die Dunkelziffer ist eindeutig höher.

Menschen, die im Krankenhaus sterben, werden nicht erfasst. Menschen, die nicht offensichtlich an Drogen sterben, werden nicht erfasst. Und so viele mehr werden nicht erfasst.


So kam es auch, dass ich am Burgplatz in Essen stand und die Namen, die verlesen wurden, hörte und dachte, das sind doch nicht alle. In dem Moment, wo ich das dachte, sagten andere Menschen aus der Szene, da sind doch noch mehr die gestorben sind!

Das ist auch den Veranstaltern klar, sie können aber nur die aufzählen, von denen sie mitbekommen.

Wem es nicht klar ist, das ist die Bevölkerung, die oft gesagt bekommt, guckt, die Zahl der Drogentoten geht runter.

Wie hat ein Leidensgenosse aus Essen in Instagram gesagt, bedenkt dabei, das sind nicht alles Menschen, die suchtkrank waren. Da sind auch Menschen bei, die nach einem einmaligen Gebrauch in der Diskothek nicht mehr aufwachen. Die nur einmal eine Pille schlucken und zack ist das Leben vorbei!

Also nix mit, sind ja eh nur die Junkies, die schon ewig drauf sind. Es sind Menschen. Es sind und waren gute Menschen!

Sie sind kein Abfall (Junkie – Abfall). Denke nach, bevor du das Wort in dem Zusammenhang benutzt!



Aber zurück zum Burgplatz. Ja, ich möchte gerne über etwas anderes reden, aber es fällt mir echt schwer, weil ich immer noch weinen muss, wenn ich daran denke, wer alles gestorben ist.

Man hat diese Menschen über ein Jahrzehnt um sich gehabt. Einen von ihnen habe ich bei einem Klientenbesuch in der Entgiftung sogar noch gesprochen. Wir haben uns richtig gefreut, uns zu sehen. Hatten wir uns doch über 10 Jahre nicht gesehen. Hatten aber davor viele Jahre zusammen verbracht. Er sagte dort zu mir, JJ das ist meine letzte Chance, ich will von dem Scheiß weg, aber immer wieder falle ich zurück und wenn es kein Heroin ist, dann ist es Alk.

Er hat so gekämpft immer wieder. Jeder von ihnen hat so gekämpft, was der meisten Bevölkerung verborgen bleibt. Bei der großen Bevölkerung kommt nur an, die nehmen immer wieder Drogen, die wollen ja gar nicht clean werden. Sie müssen doch einfach nur nix mehr nehmen.


Glaubt mir eins, sie wollten nicht sterben!

Glaub mir, sie waren stark!

Sie sind immer und immer wieder aufgestanden!
Haben nicht aufgegeben!

Aber weißt du was, Drogen kehrt man nicht so einfach den Rücken.
Das mag dein Freund namens Droge nämlich gar nicht.
Die Freundschaft gilt nämlich, einmal geschlossen, lebenslang!

Bis das der Tot sie scheidet!

Wisst ihr, was so etwas macht auch ne scheiß Angst.

Das zeigt nämlich, egal wie lange man clean ist, man ist nie sicher.

Niemals!

Ein unkontrollierbarer Moment und alles stürzt ein.

Ich kenne Menschen, die 10 Jahre und länger clean waren. Dann zack, alles auf 0.

Ja, der Gedanke macht Angst.
Er erinnert mich auch daran, immer achtsam zu sein.
Mit mir, meinen Gefühlen und auch mit meiner Umwelt.

Als ich dort stand, wurde mir auch bewusst, wie weit ich von den substituierten (substituiert = Drogenersatzstoff) Menschen und den Konsumenten weg stand.
Unsere Lebensstufe sind so weit auseinander, das ich nicht gewusst hätte, was ich ihnen sagen soll.

Zumal sind wir mal ehrlich, soll ich denen erzählen, wie überaus gut es mir geht.
Ich ihnen aber nicht sagen kann, wie ich diesen Weg geschafft habe.

Mir ist dort klar geworden, wie hilflos ich auch als Betroffene neben süchtigen Menschen stehen.
An einem Baum, wo süchtigen Menschen, die gestorben sind, gedacht wird.

Und ich kann nichts daran ändern.



Mütter und Väter fragen mich oft, was muss ich tun, um mein Kind da wegzubekommen.
Oder sie sagen ihren drogenabhängigen Kindern, guck mal, die Janita hat das doch auch geschafft, warum schaffst du das nicht.

Zum Ersten, du kannst dein Kind da nicht wegbekommen. Dein Kind kann sich nur selber da wegbekommen und das ist so scheiße schwer. Das kann sich keiner, der nicht süchtig ist, auch nur im Ansatz vorstellen. Aber du kannst als Mutter/Vater usw. da sein, wenn dein Kind diesen Weg zurückfindet. Du kannst ihm Halt geben. Sicherheit. Stabilität. Liebe. KEINE VORWÜRFE, die macht es sich selber genug.

Zum Zweiten, auch ich habe 14 Jahre gebraucht, um den Weg zurückzufinden. Vergleiche dein Kind niemals mit anderen Menschen, die von dem Dreckszeug weg sind. Du setzt einen schon kranken Menschen nur unheimlichem Druck aus, der dazu führt, dass er sich noch schlechter fühlt und was tut ein süchtiger, nicht stabiler Mensch, der sich schlecht fühlt. Genau! Darum tu es nicht. Jeder Süchtige ist anders. Keiner ist so wie der andere Süchtige. Vergleiche nicht!

Es ist mir unheimlich wichtig, diesen Beitrag jetzt schon zu veröffentlichen, auch wenn er wirklich nicht sortiert ist.
Aber ich versuche meine Gefühle und mich noch zu sortieren. Das dürft ihr ruhig mitbekommen.
Auch um zu zeigen, bei mir gibt es solche Momente, wo man denkt, die liegen lange hinter mir,.
Dem ist aber nicht so.

Die Menschen, die gestorben sind, sind gerade so nah.
Die Momente, die ich mit ihnen verbracht habe. Auch lachend.

Diese Momente, diese Erinnerungen lasse ich gerade bewusst zu.
Weine.
Schmunzel und werde da durch gehen, ganz bewusst, weil ich will sie nicht verdrängen.
Verdrängung ist nie gut. Auch für mich nicht.

Aber besonders die Menschen haben es nicht verdient, verdrängt und vergessen zu werden!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Sandra Bittmann (Montag, 09 August 2021 21:04)

    Liebe Juanita, ich folge dir auf Instagram und habe viel auf deinem Blog gelesen! Ich bewundere dich für deine ehrlichen Worte und den Mut und die Kraft dein Leben und deine Gefühle öffentlich zu machen! Angst ist vermutlich gerade in Verbindung mit dem Thema Sucht ein riesiges Gefühl, dass viel Platz und Nerven kostet! Bitte mach weiter, hab weiter Mut und Kraft andere (an erster Stelle die Gesellschaft) mit deiner Lebensgeschichte aufzuklären! Du kannst so stolz auf dich und deine Arbeit sein! Liebe Grüße Sandra