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Meine Antwort auf eine oft gestellte Frage.

Warum bist du nicht einfach zum Amt gegangen?

Deutschland ist ein Sozialstaat, darum muss es hier keine wohnungslosen Menschen geben und diese Menschen sind selber daran schuld.

Angestoßen von einem Beitrag im Internet und den Antworten darunter möchte dieser Blog von mir geschrieben werden.

Mir ist diese Frage schon oft gestellt worden, warum bist du nicht einfach zum Jobcenter/Amt gegangen?

Bis vor kurzem habe ich auch immer nur irritiert geguckt und habe die Frage, im Zusammenhang meiner Wohnungslosigkeit nicht ganz verstanden.

Was sollte sich denn dann ändern?

Bei meinem letzten Schulbesuch wurde ich es von einem Jungen wieder gefragt.

Da habe ich dann einmal die Gegenfrage gestellt, was meinst, du hätte sich dann für mich geändert?

Zur Antwort bekam ich das, was wohl auch die Personen bei dem Beitrag dachten die geantwortet haben, Ja, da hättest du ja eine Wohnung bekommen.

Leider musste ich den Jungen enttäuschen.

Und im erklären, du bekommst beim Jobcenter keine Wohnung.

Du bekommst Geld. Ja, wenn du lang genug durch hältst beim Amt.

Aber eine Wohnung nein.

Auch beim Wohnungsamt wirst du auf eine laaaaaaange Liste gesetzt und dir wird geraten, suchen Sie besser selber weiter, wir haben auch nichts für Sie.

In Bezug auf die Stadt Essen wurde gesagt, es gibt Organisationen, wie EPA, Ehrenamts Agentur usw.

Auch bei dieser Aufzählung dachte ich, ja und weiter?

Diese Organisationen haben auch eher weniger sofort eine Wohnung und entsprechende Begleitung für alle Essener Wohnungslosen an der Hand. In dem Geschrieben meinte man aber, dadurch das es trotz solchen Einrichtungen noch wohnungslose Menschen gibt, daran sieht man, dass die Betroffenen einfach nicht wollen.

Eben selber daran schuld!

Das eigene Gewissen beruhigen und besonders, auch die eigene Angst beruhigt man mit diesem Satz unheimlich. Dann kann man sich selber gut einreden, dass man ja selber niemals in diese Situation kommt.
Man ist ja nicht so dumm, wie die wohnungslosen Menschen!

Erst mal hat es nicht mit wollen, sondern mit nicht können zu tun.
Und wie schon gesagt, die Einrichtungen, Organisationen, Vereine helfen mit viel weiter auch mit der ein oder anderen Wohnung aber alle in Wohnungen bringen können auch sie nicht. Man wird in diesen Ämter eben in Listen und Büchern aufgeführt. Verwaltet aber das Konzept der Hilfe zu einer Wohnung und auch die Begleitung in ein eigenes Leben in einer Wohnung und dem was da alles dran hängt, das fehlt.
Wenn du lange auf der Straße gelebt hast, in einer ganz anderen Welt, dann musst du das wohnende Leben auch erst wieder erlernen am besten mit einer Begleitung auf Augenhöhe.
Ich als Betroffener muss mich klar äußern dürfen, was ich jetzt gerade brauche. Ich weiß das. Ich bin schon erwachsen, ich habe "nur" keine Wohnung, was aber leider dazu führt nicht mehr ernst genommen und eigenständig leben/handeln zu dürfen.

Übrigens, ganze Familien leben in Deutschland in Notunterkünften, das sind die wohnungslosen Menschen, die man nicht sieht. Dieser Zustand ist aber nicht, weil die Betroffenen nicht in Wohnungen wollen, sondern, weil das Problem Wohnungsknappheit und bezahlbarer Wohnraum immer größer wird.

Die Menschen sitzen nicht aus Spaß jahrelang in Unterkünften fest, auf engstem Raum.

Wenn ich einmal von mir ausgehe, letztens als meine OP Absage kam, da konnte ich nicht mehr in meinen 4 Wänden bleiben. Sie haben mich eingeengt. Mir die Luft zum Atmen genommen. Meine Konservenbüchse, da musste ich raus.

 

Und zwar sofort!!

 

In solchen Momenten merke ich, in einem geschlossenen Raum/Wohnung zu leben ist für mich niemals normal. Es gibt immer Momente, wo ich mich draußen besser, sicherer fühle. Und das hat damit zu tun, weil du das Leben auf der Straße verinnerlicht hast. Das geht nicht einfach weg.

Ich werde den Rest meines Lebens damit klarkommen müssen, das meine Wohnung toll ist aber für mich in Stresssituationen ein Gefängnis bedeutet.

Und ich lebe seit 15 Jahren in Wohnungen und seit 11 in meiner Wohnung. Ich kann meine Türen von den Räumen nicht geschlossen halten. Ich brauche Abends Licht. Und am liebsten würde ich meine Wohnungstüre und die Haustüre auflassen. Nicht um jemanden reinzulassen, nein um schnell, wenn jemand reinkommt raus zu können.

Ich habe nach Jahren meine Strategien, wie ich die Situation meistern kann und was ich in diesem Moment mache.


Aber zurück zum Amt...

Auf die Antwort, warum bist du nicht einfach zum Amt gegangen, möchte ich euch noch eine andere Geschichte erzählen. Ich habe ja eine Zeit lang Betroffene auf Ämter begleitet und da hat sich das so zugetragen.

Ein Klient von mir hat mich um Hilfe gebeten, weil er selber beim Amt nicht weiter kam. Er wollte Sozialleistungen beantragen. Hatte aber mehrfach Probleme.

Dazu muss man erklären, um zum Amt zu dürfen als Wohnungsloser musst du eine postalische Meldeadresse haben. Da bekommst du, einen Laufzettel und musst zu einigen Ämtern. Um dich dann da anmelden zu können.

Wenn du das geschafft hast, denk dran dein Tages/Nachtrytmus ist nicht der eines Wohnenden, dann musst du für jeden Tag zu Ämtern einen Schein haben von der Meldeadresse.

Also einfach mal zum Amt geht nicht. Dieser Zettel ist auch nicht lange gültig.

 

 

Es ist allerdings in jeder Stadt unterschiedlich.
Es gibt auch Städte, wo du einfach wie ein einfacher Bürger, der du ja bist, ob mit oder ohne Wohnung, zum Amt gehen kannst. Ohne Zettel der nur kurze Zeit gültig ist.

 

Als mein Klient freitags nicht weiter kamen, sind wir montags mit diesem Meldezettel wieder zum Amt. Nöööö, geht nicht, ist nur 2 Tage gültig.

Ähm ja, Freitag geholt, heute ist der zweite Tag!

NÖÖÖÖÖ, Samstag wird auch als Werktag gezählt, egal ob das Amt auf hat oder nicht!

Also wieder einen Meldezettel geholt. Jetzt läuft man entweder überall hin oder fährt Schwarz.

Dann einen Termin auf dem Amt bekommen für den nächsten Tag.

 

Straftat Nummer 1 ist wohl bei wohnungslosen Menschen, Erschleichung von Beförderungsleistung. Ich war dafür auch im Gefängnis. Das aber nur am Rande erwähnt.

 

 

Am nächsten Tag gingen wir hin und ich musste noch kurz zum WC. Mein Klient sollte schon einmal hereingehen.
Ich komme wieder und gehe rein, Albert (Name geändert) war nicht da.

Ich ihn also erst einmal gesucht. Draußen vor dem Gebäude gefunden.

Albert steht total bedröpelt da und sagt mir, die haben mich herausgeworfen!

Ich fragte ihn, hast du ihnen gesagt, dass du einen Termin hast.

Ja, habe ich. Trotzdem haben sie mich herausgeworfen!

Albert hatte eben sein ganzes Leben dabei.

Das war ein Trollie und auf dem lagen nochmal 2 Tüten. Er sah nie schmuddelig aus und selbst wenn, wäre das egal.
Auch eine Suchterkrankung war bei ihm nicht der Fall aber auch das wäre irrelevant.


Albert war aber von Natur aus ein sehr schüchterner, ruhiger Geselle, der möglichst unsichtbar sein wollte.

Er traute sich nicht da weiter etwas zu sagen und ging raus. Wenn er nicht jemand anderen dabei gehabt hätte, wäre er wieder gegangen. Und selbst wenn er nicht gegangen wäre,
Betroffene haben keine Lobby, so stehen sie oft auf verlorenem Posten.

So ging ich mit Albert wieder rein und erklärte dem arroganten Möchte – Gern - Wachhund das wir einen Termin haben und wir uns in den Wartebereich setzten. Sollte er Einwände haben, möchte er mir bitte den Namen seines Vorgesetzten geben.

An seinem Gesicht sah man, es passte ihm nicht, was mir aber herzlich egal war.

 

Und glaubt mir, damals als Betroffene hätte ich das auch niemals gemacht, weil dann wärst du schneller als aggressiver Wohnungsloser des Gebäudes verwiesen worden, als du gucken könntest. Aus deiner Hilflosigkeit heraus wirst du auch irgendwann aggressiv.

 

Er ließ uns also  rein.

Am Schalter selber wollte man Albert dann erklären, dass das so alles nicht ging. Albert müsste nochmals wieder kommen und er hätte Freitag etwas falsch verstanden.

Na ja, eigentlich sagte man ihm, er lügt.

Nachdem ich der Dame erklärt habe, dass wir das nicht tun werden und ich ihren Vorgesetzten sprechen möchte, konnten wir doch urplötzlich die Sachen wirklich einreichen und alles erledigen.

Glaubt ihr wirklich ein wohnungsloser, eh schon stigmatisierter Mensch hätte die Kraft da durchzuhalten.

Und dieser Antrag bedeutete nur, das Albert Geld bekommt. Nicht das er eine Wohnung hatte.


Allerdings bekam Albert auch da noch kein Geld. Wir haben das dann mit dem Antrag anders geregelt, damit er nicht bis zu 3 Moanten auf sein Geld warten muss. Die Geschichte wäre hier aber zu lang.

 

So, da kommt aber schon das nächste Problem.

Die liebe Meldeadresse!

Ich habe meine erste Wohnungsadresse nur durch Vitamin B bekommen. Diese Wohnung habe ich nie bewohnt, weil Sie eine Katastrophe war. Aber ich hatte durch Sie das Wichtigste, eine neutrale Meldeadresse.

Es war nicht die unter Vermietern bekannte postalische Meldeadresse für wohnungslose Menschen.
Mit dieser Adresse ist es unheimlich schwer eine Wohnung zu finden und da wissen auch die Einrichtungen, Organisationen nicht, wie man dieses Problem lösen kann.

Und sind wir mal ehrlich, die Sorgen der Vermieter kann ich sogar verstehen, weil sie oft mit den Mietern und ihren Problemen alleine gelassen werden.

Zum Glück ändert sich gerade einiges und z. B. das Projekt Housing First macht immer mehr Schule.

Warum ich persönlich das sehr gut finde, dazu mehr in einem anderen Blog.

Übrigens gibt es auf Ämtern auch echt tolle Sachbearbeiter.
Nur entwickeln viele nach einigen negativen Erfahrungen eine Angst vor dem Ämtergang.
Ich war auch insgesamt 6 Jahre lang bei keinem Amt gewesen, weil ich Schweißausbrüche bekommen habe.

Aber für heute war es das erst Mal von mir.
Ich wünsche euch einen schönen Tag und bleibt sauber.

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Kommentare: 1
  • #1

    Robert Kluge (Samstag, 03 April 2021 18:41)

    Sehr gut beschrieben. Vieles war mir unbekannt. Danke für diese Einblicke.